Mit der ganzen Person: Billiger geht es nicht!

Das Leid der anderen als Herausforderung an Seelsorgerinnen und Seelsorger

zuerst publiziert: Jacobs, C. (2002). Mit der ganzen Person. Leid als Herausforderung an Seelsorgerinnen und Seelsorger. Theologisch Praktische Quartalschrift, 3(2002), 239-251.

"Der Wunsch nach der Landschaft

jenseits der Tränengrenze

taugt nicht,

der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten,

der Wunsch, verschont zu bleiben,

taugt nicht.

Es taugt die Bitte…

…daß wir aus der Flut.

daß wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen

immer versehrter und immer heiler

stets von neuem

zu uns selbst

entlassen werden."

Hilde Domin

(Domin & Felger, 1999, S. 21)

"Mit der ganzen Person - billiger geht es nicht!" - so sagte mir am Anfang meiner Ausbildung jemand, der mir zum Vorbild meines seelsorglichen Einsatzes geworden ist.

Und ich versuche immer wieder mich daran zu erinnern, wenn ich mich aufmache, mit jungen Eltern ein früh verstorbenes Kind zu Grabe zu tragen, einen schwer depressiven Menschen zu besuchen, wenn ich verwickelt werde in die Kämpfe eines Priesters, der um seine Identität ringt, oder spüre, daß eine Gemeinde oder Ordensgemeinschaft nicht mehr wächst, sondern allmählich abstirbt.

Wer als Seelsorger und Seelsorgerin dem Leid in der Gestalt leidender Menschen und in der Gestalt leidvoller Strukturen begegnet, wird schnell spüren, daß es um das Ganze, um das Herz seines Dienstes geht. Das Leid des anderen ist sicher nicht eine seelsorgliche Herausforderung unter anderen, sondern vielleicht die Herausforderung schlechthin an die seelsorgliche Existenz und das seelsorgliche Handeln.

Der praktischen Theologie fällt dabei die Aufgabe zu, Seelsorgerinnen und Seelsorger mit der nötigen Sensibilität und den nötigen Grundkompetenzen auszurüsten, den Leidenden und sich selbst stets von neuem "immer versehrter und immer heiler" zu sich selbst zu entlassen.

Das Leid der anderen führt vor eine doppelte Herausforderung: Zum einen geht es um die Kompetenz, dem leidenden Menschen hilfreich und förderlich zu begegnen. Zum anderen müssen die Spuren der Konfrontation mit dem Leiden anderer im Leben des Seelsorgers aufgegriffen werden.

Leiden und Leidbewältigung tragen immer die konkreten Gesichter von Menschen. Diese lassen sich letztlich nicht systematisieren. Ich möchte mich daher in meinem Beitrag von den konkreten Fragen bewegen lassen, die das Leid der anderen offen oder verdeckt an die Seelsorgerin stellt, wenn sie den Anruf des Leidenden spürt:

• Was bewegt mich, wenn ich mich Leidenden zuwende?

• Was hilft mir, das Leiden zu verstehen und mein Handeln zu orientieren?

• Was hilft mir, Leidenden zu helfen?

• Wie sorge ich für mich, wenn ich mich Leidenden zuwende?

• Was hoffe ich, wenn ich Leidenden helfe?

1.?Herausforderung an die seelsorglichen Grundoptionen

Was bewegt mich, wenn ich mich Leidenden zuwende?

Diese Frage ist beleibe nicht bereits beantwortet. Muß ich eigentlich wirklich? Gibt es keine Entschuldigung? Warum eigentlich ich und kein anderer?

Die Erzählung vom Barmherzigen Samariter macht deutlich, daß es angesichts der allgemein menschlichen und gesellschaftlich legitimierten Leidvermeidungstendenzen eine Vergewisserung und situationsbezogene Aktualisierung der seelsorglichen Motivationen für braucht, um nicht vorüberzugehen. Das Leiden ist die Herausforderung, die seelsorglichen Grundoptionen jesuanisch auszurichten (Baumgartner, 1990, S. 88).

1.1.?Die Krankheit nicht leiden zu können

"Zu den noch am wenigsten gelösten Schlüsselproblemen unserer Zivilisation gehört der Umgang mit der Schwäche, mit der Zerbrechlichkeit, mit der Endlichkeit". (Richter, 1979, S. 129). Dies gilt nicht nur ganz allgemein für jeden von uns Menschen und insbesondere für die heutige Gesellschaft von Selbstverwirklichung und Wellness. Auch SeelsorgerInnen als pastoral Handelnde und die Kirche als ganze sind in der Gefahr, Leiden zu bagatellisieren oder zu auszublenden, indem sie die "bewährten" Strategien von Leidensflucht, Leidensverachtung und Leidensvernichtung praktizieren. Wer das Leiden bei sich selbst nicht anschauen kann, wird Mühe haben, sich dem Leidenden zuzuwenden.

1.2.?Option für die Diakonie

Daher ist es mehr als sinnvoll, sich all-täglich immer wieder in Erinnerung zu rufen, daß Jesus Christus als Urbild des Seelsorgers die Verkündigung des Reiches Gottes und den Heilungsauftrag untrennbar zusammengebunden hat (z.B. Lk 9.2). Der Dienst am Leidenden und — wenn möglich — die Heilung bzw. Verwandlung von Leiden sind Prüfkriterium für die Authentizität seelsorglichen Handelns. M.a.W.: Wenn Seelsorgerinnen und Seelsorger sich entscheiden, der diakonisch heilenden Seelsorge den Vorrang vor vielen weiteren Tätigkeiten zu geben, die sie bei der Vielzahl der Erwartungen auch tun könnten, dürfen sie sicher sein, richtig zu liegen.

1.3.?Option für Räume der Begegnung mit den Leidenden

Es ist eine große Herausforderung, im pastoralen Alltag die Nähe zum leidenden Menschen und das Gefühl für leidbringende Strukturbedingungen zu bewahren und aktiv aufzusuchen. Leid ist (im Gegensatz zu Konferenzen, Gottesdienstzeiten und Pfarrfesten) nicht planbar. Der Terminkalender vieler SeelsorgerInnen sieht daher kaum Zeiträume für leid-nahes Dasein und leid-heilendes Handeln vor.

Dies gilt auch für die örtliche Nähe zum Leidenden. Die Orte des Leidens in der Gesellschaft, also die Krankenhäuser, die Unfallstellen, die Altenheime, die sozialen Brennpunkte, die Bahnhofsvorplätze, die psychiatrischen Kliniken, die Familien, in denen geschlagen, Alkoholismus ertragen und im Alter langsam gestorben wird, sind für die meisten Seelsorgerinnen nicht die bevorzugten Lebensorte.

Tatsächliche Verantwortungsübernahme und praktizierte Hilfsbereitschaft wachsen mit der erlebten und erlittenen Nähe zum Opfer (vgl. Altruismusforschung). Es ist daher besonders auch angesichts des pastoralen Wandels eine besondere strukturelle Aufgabe, leidsensible und leidnahe Seelsorgskonzepte zu entwickeln. Es braucht Konzepte für räumliche Nähe und zeitliches Potential!

2.?Herausforderung an das theologische Verstehen, Deuten, Handeln

Was hilft mir, das Leiden zu verstehen und mein Handeln zu orientieren?

Von grundsätzlicher Bedeutung ist die persönliche Aneignung eines im Alltag der Seelsorge leidens-tauglichen kognitiv-emotionalen Koordinatensystems, das die komplexe Anthropologie und Theologie des Leids in das eigene, persönlich geprägte Leben und Handeln hineinbuchstabiert. Es geht dabei existentiell um die eigene Lebens- und Handlungsfähigkeit.

2.1.?Grundströme des Heils

SeelsorgerInnen brauchen im Alltag ein praktisch-theologisches Verstehens- und Handlungsmodell, daß die Prüfung besteht, die leidgeprägte Unheilsperspektive der Welt in die geschenkte übergeordnete Heilsperspektive hineinzustellen. Denn: Das Leiden ist aus theologischer Sicht nicht selbstmächtig. Für das Engagement wird es daher entscheidend sein, auch und gerade angesichts des Leidens unbeirrbar die Heilsdynamik des Lebens und die Grundströme des Heils im Leben des Menschen in den Blick zu nehmen (Stecher, 1998, S. 12). Die theologische Heilsperspektive wählt auch und gerade in den Momenten des Leidens die stets anwesenden Fragmente des heilshaft geschenkten Gelingens — ohne dabei für die erlebte Bedrängnis des Unheils emotional unsensibel zu werden (vgl. Abbildung).

 

Ein solches pastoraltheologisches Grundmodell kann als "saluto-genetisch" bezeichnet werden (Jacobs, 2000). Es ist gekennzeichnet durch die orthopraktische Priorität der Heilsperspektive auch und gerade angesichts des Leidens. Sie wagt es, das Leiden zu jedem Zeitpunkt und in jeder Gestalt anzuschauen und zugleich sensibel und unbeirrbar zu fragen: Was/wer macht dich heil? Was/wer führt dich zur Vollendung?

Diese ganzheitlich heilsame Orientierung ist auch dann möglich, wenn das Leiden innerweltlich nahezu ohne Maß zu sein scheint und kein Ende kennt. Sie nimmt ernst, daß zu jedem Zeitpunkt des Lebens Gelingen und Leiden gleichermaßen anwesend sind, aber von Gott her gnadenhaft auf das Heil hin ausgerichtet werden. Die salutogenetische Stellungnahme zum Leiden fokussiert den Blick und das Handeln des Seelsorgers auf die Dynamik des Heils angesichts des Leidens.

2.2.?Kurzformeln der Sinnstiftung

Unter dem Druck des Leidens zerbricht die Stimmigkeit der Welt. Wer als SeelsorgerIn in leidvollen Kontexten vor allem in der Tatsprache das Heil verkünden möchte, braucht im Hintergrund als praktisch-theologisches Handwerkszeug "Kurzformeln des Heils", die — theologisch verantwortbar — einen Sinn bzw. ein Gefühl für das Verstehen der Welt vermitteln können.

Die theologische und spirituelle Tradition hat sich über Jahrhunderte bemüht, solche Kurzformeln der Sinnstiftung zur Verfügung zu stellen (vgl hierzu u.a.:Haag, 1997; Häffner, 1997; Weber, 1961):

• Der Mensch ist im Leiden nie allein: Jesus Christus hat gelitten und steht dem Leidenden bei.

• Leiden ist wie bei Jesus Christus Durchgang zur Auferstehung.

• Das Leid ist der "Preis der Liebe" (Das Leid ist von Gott nicht gewollt, sondern um der Freiheit des Menschen zugelassen.)

• Das Leid ist Kennzeichen des endlichen Geschöpfs ("Existential der Endlichkeit").

• Das Leid ist Folge der (Erb-)Schuld ("Sold der Sünde": Existential als Folge der Erbsünde und im Einzelfall auch Folge persönlicher Schuld).

• Das Leiden ist der Ort, an dem die Herrlichkeit das Handelns Christi offenbar werden soll.

• Das Leiden ist Ort der Heimsuchung, Prüfung und Reifung des Glaubenden.

• Wer leidet, folgt Christus in besonderer Weise im Kreuz nach und ergänzt, was an den Leiden Christi noch fehlt.

• Leiden zählt nichts im Vergleich mit der künftigen Herrlichkeit.

• usw.

Ich möchte an dieser Stelle äußersten Wert darauf legen, daß diese durchaus nicht erschöpfende Zusammenstellung von "Kurzformeln der Sinnstiftung" zunächst für den Seelsorger selbst gedacht ist. Er oder sie muß einige davon selbst existentiell mit dem Herzen für tragfähig halten können. Die salutogenetische pastorale Kompetenz wird darin bestehen, sensibel auf die Verstehenssuche des Leidenden zu antworten und zu erspüren, aus welcher Sinnquelle der Leidende am ehesten Kraft schöpfen kann.

2.3.?Kurzformeln der Handlungsorientierung

Vor jedem jeden einzelnen Akt pastoralen Handelns steht ein Koordinatensystem der pastoralen Handlungsorientierung. Dabei ist es entscheidend, daß alles Leiden selbst nie verherrlicht oder gar masochistisch gesucht wird. Es ist und bleibt ein Übel (Häffner, 1997).

Auf diesem Hintergrund läßt sich aus biblischer Perspektive eine dreifache pastorale Handlungsorientierung angeben (Schillebeeckx, 1977):

1. Aufstand und Protest: Mein seelsorgliches Handeln ist konkrete Praxis des "Aufstands gegen das Leid" mit dem Ziel der Leidüberwindung durch Heilung von Krankheit und von ungerechten Strukturen (vgl. Heilungsauftrag der Jünger).

2. Mit-Tragen und Mit-Leid: Mein seelsorgliches Handeln ist konkretes und praktisches Mit-Tragen des Leidens oder gar stellvertretendes Leiden (vgl. Simon von Cyrene). Seelsorgliches Handeln ist Praxis des Mit-Leids.

3. Da-Sein: Mein seelsorgliches Handeln ist auch die (scheinbar) ohnmächtige und oft wortlose Anwesenheit unter dem Kreuz des Leidenden — getragen von der Hoffnung, daß der Schrei des Leidenden nach Erlösung von Gott beantwortet werde (die Frauen am Kreuzweg, Maria und Johannes unter dem Kreuz).

Diese Kurzformeln der Handlungsorientierung lassen sich noch einmal bündeln: Seelsorgliches Handeln ist Praxis der Solidarität der Christen im Leiden und als solche Symbol des Handelns Christi.

Mit dieser "Formel der Solidarität" noch einen weiteren Akzent setzen: Die Praxis der Seelsorge angesichts des Leidens ist keine Praxis der Mächtigen gegenüber den Ohnmächtigen. SeelsorgerIn und leidender Mensch stehen angesichts des Leidens auf einer Stufe. Hier müssen alle Machtverhältnisse in den Hintergrund treten; auch das Machtverhältnis von Helfer und Hilfesuchendem, von "Therapeuten" und "Klienten": Angesichts des Leidens hat der Seelsorger nicht jemandem seine Kompetenz zu beweisen. Er hat dem Leidenden zu Diensten zu sein. Das salutogenetische Modell versteht sich als solidarisches Modell einer gemeinsamen Suche nach Orientierung an den geschenkten Fragmenten des Heils in unheiler Situation.

3.?Herausforderung an die pastoralpsychologische Handlungskompetenz

Was hilft mir, den Leidenden zu helfen?

Hilfreiches Handeln und Mitgehen der SeelsorgerInnen in Leidsituationen stellt große Herausforderungen an den Gesamtentwurf seelsorglichen Handelns (Was ist mein Ziel?, Wie helfe ich richtig?) und generelle (z.B. Empathie und Tatkraft) und spezielle Handlungskompetenzen (z.B. Krisenintervention oder Trauerbegleitung bei Verlust eines Kindes). Spezialliteratur und Spezialausbildungen gibt es zur Genüge. Was fehlt, ist eine Art Rahmenmodell zur Orientierung und Anleitung hilfreichen Handelns. Darum soll es hier gehen.

3.1.?Drei Zielgrößen der Förderung heilsamer Lebensentwicklung

Auch im Leiden gilt: Alle Menschen streben nach Glück! (Thomas von Aquin). So wird den Seelsorger die Frage bewegen: Was sind die Dimensionen des Gelingens menschlichen Lebens auch in schwieriger, ja manchmal sogar auswegloser Lebenssituation? Wer die übergreifenden Zielgrößen erfüllten Lebens kennt, wird in die Lage versetzt, diese zusammen mit dem leidenden Menschen zu entdecken und zu fördern.

Eine gelungene Antwort auf die Herausforderungen und Widerfahrnisse des Lebens entscheidet sich daran, ob ein Mensch fähig ist, eine Integrität zu entwickeln, die stärker ist als alle Bedrohungen. Herzstück dafür ist ein überdauerndes und doch dynamisches Gefühl der Verankerung und des Getragenseins, ein Sinn für die Kohärenz des Lebens (Antonovsky, 1997; Kickbusch, 1992). Gemeint ist ein gewachsenes positives Bild der eigenen Handlungsfähigkeit jedes Menschen, "die von dem Gefühl der Bewältigbarkeit von externen und internen Lebensbedingungen, der Gewißheit der Selbststeuerungsfähigkeit und Gestaltbarkeit der Lebensbedingungen getragen ist (Keupp, 1997, S. 59). Auch der Leidende wird so eher als Handelnder verstanden denn als abhängiger Hilfsbedürftiger.

Das salutogenetische Modell der Gesundheitswissenschaften geht davon aus, daß diese leidensfähige Lebenskompetenz aus drei Dimensionen bzw. Zielgrößen besteht, die es kreativ und mit allen Mitteln seelsorglich zu fördern gilt:

a) Förderungswürdig ist die Überzeugung: Ich kann mein Leben verstehen! — (die Dimension der Stimmigkeit).

b) Förderungswürdig ist die Überzeugung: Ich habe oder bekomme die Mittel, die mir helfen, mein Leben zu meistern! —  (die Dimension der Gestaltung).

c) Förderungswürdig ist die Überzeugung: Für mein Leben (oder das Leben anderer) ist wirkliches Engagement sinnvoll! — (die Dimension der Motivation).

3.2.?Vier Grundorientierungen des seelsorglichen Handelns

Die empirischen Forschungen zu den Einflußfaktoren heilsamer Persönlichkeitsentwicklung haben in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Der Ertrag ist eine auch in der Seelsorge ausgesprochen hilfreiche Grundorientierung für Helfer: "Das Konzept der großen Vier" (Asay & Lambert, 2001; Hubble, Duncan, & Miller, 2001).

 

Die heilsame Entwicklung von Menschen stellt sich als das gemeinsame Werk von vier ganz allgemeinen Grundfaktoren dar — die übrigens schon immer zum Grundbestand des seelsorglichen Alltagswissen gehörten. Entscheidend sind: 1. die Heilungspotentiale des Leidenden, die "von außerhalb" des Hilfe-Prozesses bereitgestellt werden (sei es eigene, fremde oder gar sich ‘zufällig’ einstellende Ressourcen, 2. die Heilungspotentiale der (seelsorglichen) Beziehung, 3. die Stärke der Hoffnung auf eine positive Veränderung, 4. die Effekte des gekonnten Einsatzes wirksamer Methoden und Strategien.

(Die Gewichtung der "großen Vier" ist bedeutsam für die Gewichtung der "Blickrichtungen" der Hilfeleistung. An erster Stelle steht die Orientierung der Seelsorgerin an den Heilungspotentialen des Leidenden und seiner Lebenswelt. An zweiter Stelle kommt die Heilung aus der Beziehung zur Seelsorgerin. Diese beiden Faktoren decken bereits ungefähr 70% aller positiven Effekte ab.)

Übersetzt in die Alltagswelt seelsorglichen Engagements lassen sich folgende vier Grundorientierungen formulieren:

1. Wer effektiv helfen will, konzentriert sich zuallererst auf die Entdeckung und Förderung aller nur möglichen Ressourcen der Person und ihrer Lebenswelt. Der Hauptakteur aller Heilung ist der Leidende selbst. Dies unterstreicht seine Würde.

2. Wer effektiv helfen will, fördert die heilsamen Kräfte aus der seelsorglichen Beziehung. Zu den Einflußfaktoren auf diese Beziehung gehören viele seelsorgliche Grundqualifikationen wie Sorge, Empathie, Mitleid, Akzeptanz, Wärme, Zeit, Energie usw. und die Bündnisfähigkeit mit dem Leben und den Lebenswünschen des Menschen.

3. Wer effektiv helfen will, aktiviert die Hoffnung des Menschen, daß jeglicher Einsatz zur Leidbewältigung und Leidüberwindung zum Gelingen des Lebens sinnvoll ist. Dazu gehören die Kräfte des Glaubens, die Kräfte auf die gewählte Strategie, die Kräfte aus der Seelsorgsbeziehung selbst.

4. Wer effektiv helfen will, wählt flexibel diejenigen Wege hilfreichen Verhaltens, die aus Sicht der Weg-Suchenden und aus der Helferperspektive am meisten Erfolg versprechen. "Dogmatisches" Verhalten in Methoden und "therapeutischen" Strategien ist nicht hilfreich. Es geht um kreative und konsistente Ausrichtung auf eine positive Veränderungsdynamik.

3.3.?Vier praktische Handlungsstrategien im Umgang im Leidenden

Wie kann ich dem Leidenden konkret helfen?

Es kommt vor allem auf vier Handlungsstrategien, in der die erarbeiteten Zielgrößen und Grundorientierungen in vier praktische Handlungsstrategien umgesetzt werden (Grawe, 1995):

1. Ressourcenaktivierung

Der Seelsorger stellt zuallerst die Ressourcen und Potentiale in den Mittelpunkt, die es möglich machen, das Leben zu meistern (d.h. das Leiden zu besiegen oder zum Besseren zu führen oder zu ertragen oder in den Kontext des Heilshandelns Christi hineinzustellen).

2. Klärungsarbeit

Die Seelsorgerin arbeitet mit der Leidenden an der Ausrichtung bzw. Neuausrichtung ihres eigenen Lebensentwurfes. Ziel ist ein Sich-über-sich-selber-klarer-Werden angesichts des Leidens, ein Sich-selber-besser-annehmen-Können vor dem Hintergrund des eigenen Lebensentwurfes und der eigenen Lebens- und Glaubensumwelt.

3. Aktive Hilfe zur Leidensbewältigung

Der Seelsorger hilft dem Leidenden bei der alltäglichen Lebensbewältigung. Dies können ganz praktische Hilfestellungen sein, die er selbst oder durch andere bereitstellt, aber auch die Anleitung, wie es "von selber" gehen könnte (z.B. durch Schulung im Beten oder durch neue Aufgaben im Dienst der Gemeinde).

4. Veränderung durch aktive Erfahrung in der Begegnung

Die Seelsorgerin läßt die Leidende in der Begegnung mit ihr und anderen Gläubigen ahnen, spüren, erleben: So kann es gehen! Es geht darum, daß die Seelsorgerin mit eigenen und gemeindlichen leidbewältigenden Lebens- und Glaubenserfahrungen in Kontakt bringt. So kann erlebt werden: Christliche Leidensbewältigung ist ein gangbarer und hoffnungsgetragener Weg!

3.4.?Engagement im Umgang mit Leid schaffenden Strukturen

Von heilendem Handeln in der Seelsorge kann nicht die Rede sein, ohne auch vom seelsorglichen Engagement gegen die Leid schaffenden Strukturen und Lebensbedingungen zu sprechen (Schillebeeckx, 1977).

Sowohl das Heilshandeln Jahwes am leidenden Volk Israel wie das Heilshandeln Jesu Christi an der gesamten leidenden Menschheit sperren sich gegen jede heilsindividualistische Verzerrung. Dies gilt auch für die heilende Praxis der Seelsorge im Angesicht des Leidens, da Leiden immer auch gesellschaftlich vermittelt ist (vgl. z.B. Schillebeeckx, 1977, S. 725). Es würde zu weit führen, an dieser Stelle eine gesellschaftliche Praxis des heilenden Handelns in der Seelsorge skizzieren zu wollen. Es sei aber festgehalten: Das Leiden Jesu am Kreuz ist kein Akt der Willkür Gottes, sondern Verbrechen der Menschen! Jesus nahm den Weg menschlichen Schmerzes auf sich, nicht um ihn zu verewigen, sondern damit er ein Ende findet. Es ist daher die Aufgabe des Glaubens und der als historische Kraft organisierten Christentums, dafür zu arbeiten, daß schuldhaftes Handeln und schuldhafte Strukturen, die zum Leiden führen, ein Ende finden: und zwar nicht durch Anwendung von Gewalt, sondern durch die kluge und Gerechtigkeit schaffende Liebe (vgl. Boff, 1986, S. 339f).

4.?Herausforderung an die eigene Lebensführung

Wie sorge ich für mich, wenn ich mich Leidenden zuwende?

Menschliches Leiden und menschliche Probleme sind widerständig gegen eine "Pastoral der Blütenträume". Wer sich als SeelsorgerIn im Dienst des leidender und problembeladener Menschen engagiert, wird sehr schnell spüren, daß heilende Seelsorge auch "Mitleidenschaft" bedeutet und nicht Spielwiese für selbstverliebtes Spazierengehen in den "Spuren der Pastoralmacht" (Keupp, 2000, S. 10).

Umgekehrt wäre es ebenso falsch wie weit verbreitet, ein "Selbstbild der Larmoyanz" [S. 10] zu entwerfen. Wolfgang Schmidbauers in der Öffentlichkeit höchst erfolgreicher Entwurf vom "Hilflosen Helfer" (1977) hat sich als nur wenig tragfähig erwiesen. Allenfalls ein oberflächlicher Blick auf die Welt der Helferinnen und Helfer könnte dazu verleiten, Helfen zu pathologisieren und sich um die Seelsorgerinnen und Seelsorger Sorgen zu machen. Selbstmitleid oder gar Häme sind fehl am Platz.

Wer sich von den Leidenden und Beladenen in Dienst nehmen läßt, ist in der Regel nicht bedroht, Schaden zu nehmen an Leib oder Seele. Im Gegenteil: Befragt man SeelsorgerInnen, die sich für Leidende in uneigennütziger (!) Weise engagieren, nach den "Folgen" ihres Engagements, so antworten sie meist in bescheidener Freude: Ich habe viel bekommen und bin gereift! Die Sorge für die Hilfesuchenden kann in gelingender Weise zugleich mit der "Sorge um sich" gelebt werden.

4.1.?Lebenskunst und die "Sorge um sich"

Dem Glück anderer Menschen "zu Diensten" zu sein, ist eine Lebensaufgabe, die selber glücklich machen wird — wenn man die "Kunst der Selbstsorge" besitzt. Mit der Lebenskunst der Selbstsorge ist weitaus mehr als das gemeint, was überlastete SeelsorgerInnen zum Ausdruck bringen, wenn sie unter Belastung stöhnen und ausrufen: "Ich muß jetzt endlich mal an mich denken und für mich selbst sorgen!"

Da das Gutsein des Hirten in seiner Hingabe ohne Abgrenzung nicht gelingen kann, ist es evident, "daß der Hirte sich darum kümmern muß, sein Gleichgewicht zu finden und für eine gute Gestalt seines eigenen Lebens zu sorgen. Es ist ihm nicht erlaubt, auf die Selbstliebe zu verzichten" (Stenger, 2000, S. 283).

Ich möchte dazu anregen, eine Kompetenz wieder zu entdecken, die bereits in der Antike beschrieben wurde und von dem Philosophen Michel Foucault in unsere Zeit hineinbuchstabiert wurde: Die "Epimeleia heautou" ("Cura sui") oder die "Sorge um sich" (Foucault, 1986; Gussone & Schiepek, 2000; Steinkamp, 1999; vgl. hierzu Stenger, 2000).

Die "Sorge um sich" steht nach Foucault für eine Haltung und ein Verhalten des Menschen, der es unternimmt, dem eigenen Leben eine Gestalt zu geben. SeelsorgerInnen, die die "Kunst der Selbstsorge" besitzen, sind schöpferisch tätig, indem sie das Gelingen der eigenen Existenz als selbst-verantworteten Prozeß begreifen und die "Regierung über sich selbst" übernehmen. Die Haltung und das Verhalten der Sorge ist nicht erst im Sinne eines Kraftaktes zum Schutz seiner selbst dann angesagt, wenn man ausbrennt. Im Gegenteil: Lebenskunst ist ständiges Gestalten und Entwickeln des eigenen Lebensstils.

4.2.?Ganzheitlicher Werdewillen, Lebenstechniken und Existenzkünste

Fundament eines Lebensstils, der Leidensfähigkeit mit der Lebensfreude "der Sorge um sich" zu verbinden vermag, ist der existentielle Wille, die eigene Berufung und die ihr zugeordneten Kompetenzen zu verwirklichen. Dies bezeichnet H. M. Stenger als den "ganzheitlichen Werdewillen" des Seelsorgers (Stenger, 2000, S. 286).

Die drei Dimensionen der seelsorglichen Berufung können drei Räume der existentiellen Sorge um sich selbst erschließen, die untrennbar miteinander verbunden sind (Stenger, 1988):

a) die Berufung (Ermächtigung) zum Menschsein erschließt die Sorge um sein eigenes Menschsein,

b) die Berufung (Erwählung) zum Christsein erschließt die Sorge um sein eigenes Christsein,

c) die Berufung zum Dienst erschließt die Sorge um seine eigene Sendung.

Die Dreidimensionalität der Sorge stellt SeelsorgerInnen vor die Aufgabe, die Kräfte des Menschseins, des Christseins und der Sendung gleichermaßen zu pflegen. Zur Dimension des Menschseins gehören die physischen, psychischen, geistigen und sozialen Kräfte, zur Dimension des Christseins die Glaubenskräfte und der Communio im Raum der Kirche und zur Dimension der Sendung die Kräfte des Dienstes und der Hingabe.

Als Richtungsgeber für die Sorge um das ganzheitliche Gelingen des eigenen Lebens lassen sich aus den drei o.g. salutogenetischen Zielgrößen drei existentielle Handlungsfelder der Sorge um sich selbst ableiten:

1. die Sorge um die Stimmigkeit der eigenen Welt, d.h. die Pflege ihrer Ordnung und der Zusammenhänge des Verstehens und der Deutung,

2. die Sorge um die Gestaltbarkeit der eigenen Welt, d.h. die Pflege und Entwicklung der Ressourcen,

3. die Sorge um den Sinn des eigenen Engagements, d.h. die Pflege der Motivationen und die Antriebsquellen des eigenen Handelns.

Die Sorge um sich selbst bringt im Laufe der eine ganze Reihe von Existenzkünsten und Lebenstechniken hervor. Einige seien explizit genannt:

1. Askese:

Dieser häufig negativ im Sinne von Abtötung mißverstandene Begriff meint etwas ausgesprochen Positives: die Kompetenz der Selbstausrüstung und Selbst-Befähigung des Profis zur Bewältigung von Anforderungen. Dazu gehören die Selbstreflexion und die Übung des Handelns in komplexen Situationen. Dazu gehört u.a. alles, was heute unter beruflicher Professionalisierung, Supervision und Training verstanden wird.

2. Lebenskultur:

Ein eigener gesunder Lebensstil ist Voraussetzung für kompetentes seelsorgliches Handeln. Dazu gehört im Rahmen der Gesamtgestaltung des Lebens die Sorge um die körperliche, seelische und geistige Gesundheit. Die klassische Diätetik nennt Bereiche, auf die es zu achten gilt. Dazu gehören der reflektierte Umgang mit Licht, Luft, Wasser und Wärme, eine Kultur des Essens und des Trinkens, die Wahrung des Gleichgewichts zwischen Ruhe und Bewegung, zwischen Muße und Arbeit, die Beachtung des Rhythmus von Wachsein und Schlafen, die Kultur der Sexualität und des Stoffwechsels und schließlich der gestalterische Umgang mit den eigenen Emotionen (Grün & Dufner, 1989).

3. Balance von Verfügbarkeit und Zeiteinteilung:

In der Nachfolge gut zu sein, heißt nicht, in der Nachfolge perfekt sein zu wollen. Absolute Sorge für den anderen ist nur Gott möglich. SeelsorgerInnen stehen vor der Aufgabe, die Hingabekomponente und die Abgrenzungskomponente in ein flexibles Gleichgewicht zu bringen: gemeint sind Hingabe ohne Preisgabe und Abgrenzung ohne Selbstsucht (Stenger, 2000, S. 144). Dazu gehört neben einer professionellen Zeiteinteilung auch die geplante (!) Reservierung von Zeit für die Selbstsorge.

4. Kompetenzen der Belastungsverarbeitung:

Zu den Grundkompetenzen der Belastungsverarbeitung gehören: das ständige Training der eigenen Belastungsfähigkeit, die Kenntnis der die eigene Person beeinträchtigenden Stressoren bzw. destruktiven kognitiven Mechanismen und das Management der Bewertungstendenzen. Das Spüren und Akzeptieren der Grenzen der Belastungsfähigkeit und die Tendenz, Belastungen als Herausforderungen zu betrachten, können gleichermaßen als professionelle Kompentenzen geübt werden.

5. Selbstsorge in Gemeinschaft:

Selbstsorge findet nicht in einem a-sozialen Raum statt, sondern führt in die Gemeinschaft (Foucault, 1986). Erst dann wird Seelsorge nicht zu einem "unmöglichen Beruf" (Freud). Es ist eine hilfreiche Existenzkunst für Helfer, eine Vielfalt von Beziehungen über die Helferrolle hinaus zu pflegen, sei es im Bereich der Freundschaft oder auch im öffentlich Raum der Gesellschaft. Dies verhindert eine fatale Überidentifikation mit der Helferrolle und eine Abhängigkeit vom Klienten. Besonders FreundInnen, Lehrer und Meister können jene Rolle des "wohlwollenden Gegenübers" übernehmen und die notwendige Unterstützung in der Selbstsorge bereitstellen. Dazu gehört auch die Neuentwicklung einer Kultur des Austauschs, der kollegialen Beratung und der Freizeit unter SeelsorgerInnen.

4.3.?Selbstsorge als Systemkompetenz und Machtkompetenz

Der Einsatz für Leidende findet unter systemischen Bedingungen und damit auch unter den Bedingungen der Macht statt. Gemeint ist die alltägliche Erfahrung, daß der Kampf gegen das Leiden häufig unter komplexen, schwierigen und widrigen Arbeitsbedingungen auszutragen ist. Das Gesprächs- oder Therapiezimmer, die diakonische Arbeit vor Ort sind kein machtfreier Raum. Häufig sind es sogar gerade die gesellschaftlichen und institutionellen (auch kirchlichen) Rahmenbedingungen, die SeelsorgerInnen in das Leiden am Leiden zu bringen drohen.

Selbstsorge bedeutet daher auch die Kompetenz und die Ermutigung, "sich nicht als ohnmächtiges Opfer der Strukturen oder Institutionen zu definieren, sondern Wege zu suchen, diese Umstände aktiv zu beeinflussen" (Gussone & Schiepek, 2000, S. 140). Es ist nämlich nicht richtig, daß Burnout vornehmlich eine Persönlichkeitsvariable darstellt (Maslach & Leiter, 2001). Eher sind es die systemischen und institutionellen Bedingungen, die engagierte Menschen in den Burnout führen. Teil der Sorge für sich selbst ist daher auch die Professionalität im Umgang mit sozialen Systemen und im Umgang mit Machtstrukturen. Dazu gehören u.a. die Rollen- und Auftragsklärung, die Berücksichtigung der Spielregeln der Institutionen, der kompetente Einsatz von Unterstützungssystemen zur eigenen Entlastung und der gelassene Umgang mit Fehlern und unklaren Situationen.

4.4.?Die Kunst der Hingabe

Selbstsorge hat sehr wenig mit ängstlicher Selbstbewahrung zu tun. Im Gegenteil: Die moderne Glückforschung hat — gegen den öffentlichen Trend — das Forschungsergebnis ins Licht gerückt, daß ganzheitliche Hingabeprozesse und nicht Selbst-Such-Prozesse die Kernvorgänge der Erfahrung des erfüllten Lebens darstellen (Csikszentmihalyi, 1999).

SeelsorgerInnen werden dann glücklich, wenn sie ihr seelsorgliches Engagement für die Menschen und ihr sorgendes Engagement für sich selbst als zwei Dimensionen des einen und selben Prozesses der Hingabe der eigenen Existenz an das Leben und an Gott betrachten. Was auch immer Menschen tun: sie werden dann glücklich,

• wenn sie sich ganz gefangennehmen lassen von dem, was sie tun,

• wenn das, dem sie sich widmen, größer ist, als sie selbst,

• wenn sie sich bis an die Grenzen anspannen (!),

• wenn sie über ihr Tun die Herrschaft behalten,

• wenn sie sich selbst dabei vergessen.

Mit anderen Worten: Musik-Machen, Kochen, Lesen, Beten, Gespräche führen, Zeit für andere opfern, für andere kämpfen usw.: Je mehr Ideen und Möglichkeiten jemand besitzt, etwas hingebungsvoll zu tun, umso weniger brennt er aus. Dies bedeutet jedoch nicht stete Aktion, schon gar nicht Aktionismus: Glücklich wird nur der, der sich auch immer wieder dem zweckfreien Dasein hingeben kann: der Erholung, der Meditation, dem Gebet, dem Träumen usw.

Wer sich hingibt, erhält das Hundertfache zurück. Hingabe an das, was mich wirklich erfüllt, sei es privat, in den persönlichen Beziehungen oder im seelsorglichen Engagement, ist Selbstsorge. Es wird daher zur entscheidenden Herausforderung an Seelsorgerinnen, nicht Rückzugsnischen zu bewahren, sondern ganzheitliche "Hingaberäume" zu erschließen. Dann befruchten sich Engagement für Leidende und Selbstsorge gegenseitig und lassen das Leben gelingen.

5.?Verwundbar, aber unbesiegbar!

Was hoffe ich, wenn ich Leidenden helfe?

Vor einigen Jahren erschien eine imponierende Studie über die Lebensläufe von Kindern, von denen die Mehrzahl eine große Anzahl von Risikofaktoren und Belastungen aufwies. Ins Staunen gerieten die Wissenschaftlerinnen, als sie zu ihrer Verwunderung und wider alle Erwartung entdeckten, daß so viele der Kinder trotz allem doch zu normalen und kompetenten Erwachsenen heranwuchsen. Man nannte die Kinder "die Unverwüstlichen" und gab der Studie den Titel: "Vulnerable but Invincible".

Verwundbar, aber unbesiegbar!

Diese Wahrheit kann uns tragen: als Seelsorgerinnen und Seelsorger — gemeinsam mit den Menschen, denen wir im Leiden begegnen. Menschsein heißt: Sich auf Leben und Heil hin entwickeln dürfen: auch im Angesicht aller Fragmente menschlichen Lebens. Wenn dies aber stimmt, dann gilt auch hier: Wir sollen alle unsere Kräfte investieren, heilende Kräfte im Leben der Menschen zur Entfaltung zu bringen. Machbar ist nichts, aber wir werden staunen, was doch alles möglich ist. Mit der ganzen Person: Billiger geht es nicht.

Verwundbar, aber unbesiegbar!

Diese Worte erinnern mich an Paulus, der in bezug auf das Leben, den Glauben und die Botschaft vom Heil formulierte: "Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, daß das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt ... Wohin wir auch kommen, immer tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird" (2 Kor 4,7.10). So heißt die wahre Hoffnung angesichts des Leidens: Ostern!

 

  1. Literatur

Antonovsky, A. (1997). Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: dgvt-Verlag.

Asay, T. P., & Lambert, M. J. (2001). Empirische Argumente für die allen Therapien gemeinsamen Ergebnisse. In M. A. Hubble & B. L. Duncan & S. D. Miller (Eds.), So wirkt Psychotherapie. Empirische Ergebnisse und Praktische Folgerungen (pp. 41-82). Dortmund: Verlag Modernes Lernen.

Baumgartner, I. (1990). Pastoralpsychologie: Einführung in die Praxis heilender Seelsorge. Düsseldorf: Patmos.

Boff, L. (1986). Jesus Christus, der Befreier. Freiburg: Herder.

Csikszentmihalyi, M. (1999). Lebe gut! Wie Sie das Beste aus Ihrem Leben machen. Stuttgart: Klett-Cotta.

Domin, H., & Felger, A. (1999). Vielleicht eine Lilie. Gnadenthal, Hünfelden: Präsenz.

Foucault, M. (1986). Die Sorge um sich. Sexualität und Wahrheit III. Frankfurt: Suhrkamp.

Grawe, K. (1995). Grundriß einer Allgemeinen Psychotherapie. Psychotherapeut, 40(3), 130-145.

Grün, A., & Dufner, M. (1989). Gesundheit als geistliche Aufgabe (Vol. Münsterschwarzacher Kleinschriften 57). Münsterschwarzach: Vier-Türme-Verlag.

Gussone, B., & Schiepek, G. (2000). Die "Sorge um sich". Burnout-Prävention und Lebenskunst in helfenden Berufen. Vorwort. Tübingen: dgvt-Verlag.

Haag, E. (1997). Leid, Leiden. Biblisch-theologisch. In W. Kasper (Ed.), Lexikon für Theologie und Kirche (Band 6: Kirchengeschichte bis Maximianus) (Vol. Band 6: Kirchengeschichte bis Maximianus, pp. 782-783). Freiburg: Herder.

Häffner, G. (1997). Leid, Leiden. Theologisch-ethisch. In W. Kasper (Ed.), Lexikon für Theologie und Kirche (Band 6: Kirchengeschichte bis Maximianus) (Vol. Band 8: Pearson bis Samuel, pp. 784-785). Freiburg: Herder.

Hubble, M. A., Duncan, B. L., & Miller, S. D. (Eds.). (2001). So wirkt Psychotherapie. Empirische Ergebnisse und Praktische Folgerungen. Dortmund: Verlag Modernes Lernen.

Jacobs, C. (2000). Salutogenese. Eine pastoralpsychologische Studie zu seelischer Gesundheit, Ressourcen und Umgang mit Belastung bei Seelsorgern. Würzburg: Echter.

Keupp, H. (1997). Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden — Jugend zwischen Multioptionalität und Identitätsdiffusion. In H. Keupp (Ed.), Ermutigung zum aufrechten Gang (pp. 49-68). Tübingen: DGVT-Verlag.

Keupp, H. (2000). Die "Sorge um sich". Burnout-Prävention und Lebenskunst in helfenden Berufen. Vorwort. In B. Gussone & G. Schiepek (Eds.), Die "Sorge um sich". Burnout-Prävention und Lebenskunst in helfenden Berufen (pp. 9-14). Tübingen: dgvt-Verlag.

Kickbusch, I. (1992). Plädoyer für ein neues Denken über Gesundheit: Muster-Chaos-Kontext. Neue Handlungsansätze in der Gesundheitsförderung. In P. Paulus (Ed.), Prävention und Gesundheitsförderung. Perspektiven für die psychosoziale Praxis (pp. 23-33). Köln: GwG-Verlag.

Maslach, C., & Leiter, M. P. (2001). Die Wahrheit über Burnout. Stress am Arbeitsplatz und was Sie dagegen tun können. Wien: Springer.

Richter, H. E. (1979). Der Gotteskomplex. Die Geburt und die Krise des Glaubens an die Allmacht des Menschen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Schillebeeckx, E. (1977). Christus und die Christen. Die Geschichte einer neuen Lebenspraxis. Freiburg: Herder.

Schmidbauer, W. (1977). Die hilflosen Helfer. Über die seelische Problematik der helfenden Berufe. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Stecher, R. (1998). Die leisen Seiten der Weihnacht. Innsbruck: Tyrolia.

Steinkamp, H. (1999). Die sanfte Macht der Hirten. Die Bedeutung Michel Foucaults für die Praktische Theologie. Mainz: Grünewald.

Stenger, H. (Ed.). (1988). Eignung für die Berufe der Kirche. Klärung - Beratung - Begleitung. Freiburg: Herder.

Stenger, H. M. (2000). Im Zeichen des Hirten und des Lammes. Mitgift und Gift biblischer Bilder. Innsbruck: Tyrolia.

Weber, L. M. (1961). Leid und Leiden. In J. Höfer & K. Rahner (Eds.), Lexikon für Theologie und Kirche. Zweite Auflage. Sechster Band (Karthago bis Marcellino) (pp. 926-928). Freiburg: Herder.