Darf ein Priester glücklich werden?

Diese Frage stellte mir einmal Bischof Wanke während eines Fortbildungskurses für Priester seiner Diözese. Sie war mit einem Lächeln ausgesprochen und in diesem Moment auch sicher rhetorisch gemeint. Und trotzdem: Sie läßt mich nicht mehr los.

Darf ich im Dienst der Kirche glücklich werden?

Die Brisanz dieser Frage zeigt sich sehr schnell, wenn man den Mut hat, mit ja" zu antworten. Denn angesichts der großen Umbrüche und Herausforderungen in der Seelsorge stellt sich fast für jeden die Frage: Unter welchen Bedingungen kann ein Leben in der Seelsorge gelingen?

Gelingendes Leben, ganzheitliches Heilsein: diese Sehnsucht teilen die Seelsorger und Seelsorgerinnen der Kirche mit den Menschen aus allen Völkern und Generationen. Auch theologisch ist gewiß: Die Vorstellung vom Glück ist nicht neu. Ihr gilt der höchste und beständige Einsatz der gesamten menschlichen Existenz. Und sie steht auch im Zentrum des christlichen Glaubens" (Jean-Marie Lustiger, 1999).

Die aktuellen Worte des Kardinals von Paris ermuntern dazu, die neuesten Erkenntnisse von Psychologie und Medizin zu gelingendem Leben aufzuarbeiten. Vor allem in der Psychologie hat sich nämlich die Perspektive geändert. Wesentlich interessanter und gewinnbringender als die alte Frage: Was macht Menschen krank? ist die Frage: Was macht Menschen gesund ? oder: Was läßt ihr Leben gelingen?

Für diese neue Perspektive gibt es in der Pastoralpsychologie ein schlagkräftiges und kreatives Programm: Salutogenese : die ganzheitliche Heilwerdung des Menschen. Dieses positive Lebensprogramm gibt Kraft und Mut; und es achtet die persönliche Berufung zur Fülle des Lebens (Joh 10,10).

Auf der Basis eigener Forschungen mit Priestern und aus den Schätzen der Tradition möchte ich zehn praktische Anregungen für ein Gelingen des Lebens zusammenstellen. Sie gelten für Seelsorger und Seelsorgerinnen ebenso wie für jeden, der aus dem Glauben heraus glücklich werden möchte:

1. Vergewissern Sie sich Tag für Tag, daß Gott Sie zu einem Leben in Fülle berufen hat.

2. Üben Sie sich ein in die salutogenetische Perspektive: Lernen Sie das Staunen angesichts der Vielzahl der gottgeschenkten Möglichkeiten, das Leben zu meistern.

3. Orientieren Sie sich an Ihren Ressourcen, Charismen, Stärken und Fähigkeiten. Defizite sind im Blick auf die Zukunft sehr selten interessant.

4. Gewinnen Sie eine Achtsamkeit für die vielen Bausteine der Gesundheit: die Gesundheit der Seele, des Körpers, der Beziehungen, der Spiritualität usw.. Bauen Sie diese Bausteine ein in jeden Tag, jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr.

5. Betrachten Sie die unvermeidlichen Belastungen des Lebens niemals als Streß", sondern als Herausforderungen zu Wachstum und Reifung. Es ist lohnenswerter und leichter, sich Schwierigkeiten zu stellen, als ihnen auszuweichen.

6. Tragen Sie Sorge für Ihre Freundschaften, lassen Sie sich ihre wertvollen Beziehungen auch viel kosten.

7. Genießen Sie, wenn jemand Ihre Anstrengungen für das Gute würdigt. Erwerben Sie sich aber auch eine Sensibilität für Ihre Symptome von Verausgabung.

8. Überlegen Sie, in welchen Bereichen Ihres Lebens Sie Ihre Selbstverantwortung und die Verwirklichung Ihrer Ziele und Entscheidungen verstärkt entwickeln möchten. Sie werden sie brauchen!

9. Verwenden Sie auch Energie dafür, die Lebensbedingungen in Ihren Pfarreien, Diözesen und Gemeinschaften lebensförderlicher zu gestalten.

10. Lassen Sie sich niemals die Freude an der Hingabe nehmen. Schonen Sie sich nicht! Im Gegenteil: Trauen Sie der Verheißung: Wer sein Leben hingibt, wird es empfangen.

Zum Schluß noch einmal die Frage: Dürfen Seelsorger und Seelsorgerinnen auch in Zukunft glücklich werden? Meine Antwort lautet: Sie sind von Gott dazu berufen. Sie können sehr viel selber dafür tun. Doch letztlich: Wenn Leben gelingt, ist es sein Geschenk.